Angebot der flexiblen Kindernotbetreuung in Gefahr

Nach den Tagesmüttern sind nun auch die Kinderbetreuer*innen in der flexiblen Notbetreuung unter Beschuss: Die Deutsche Rentenversicherung will flexible Kinder-Notbetreuung durch freiberufliche Kräfte weitgehend unterbinden. Auf diese ergänzenden Betreuungsservices sind jedoch Hunderte von Eltern in Berlin angewiesen – weil Kinder krank sind, weil außerplanmäßige Dienste übernommen werden müssen, oder weil Kitas infolge des Fachkräftemangels keinen verlässlichen Betrieb garantieren können.

Nun ist dieses Angebot in Gefahr. Jahrelang sah die DRV bei Rentenprüfungen keinen Grund zur Beanstandung. Seit 2015 jedoch wurden die Beschäftigungsverhältnisse unter dem Vorwurf der Scheinselbständigkeit angefochten. Sämtliche Betreuungstätigkeiten in der flexiblen Kindernotbetreuung sollen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse überführt werden. Das bleibt nicht ohne Folgen für Branchen, die mit hochqualifiziertem Personal verlässliche Dienstpläne einhalten müssen.

 

Anerkennung flexibler Betreuungsbedarfe in Ergänzung zur Regelbetreuung

In Deutschland fehlen bekanntlich mehrere hunderttausend Kitaplätze. Aber auch die vorhandenen Betreuungsplätze decken oft nicht verlässlich die Arbeitszeiten von Eltern ab. Die Lücken in der Kinderbetreuung erfordern einigen Organisationsaufwand: sind Kinder mehr als 10 Tage krank oder müssen ältere Kinder zu Hause bleiben, haben Eltern keinen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit. Auch ein angekündigter Kita-Streik geht zu Lasten ihrer Urlaubstage. Derlei Ausfallzeiten stellen aber auch Arbeitgeber vor erhebliche Herausforderungen, besonders, wenn Mitarbeiter*innen aufgrund ihrer Qualifikation schwer zu ersetzen sind.

Vor allem in Krankenhäusern, die auf die Verlässlichkeit ihres ärztlichen und pflegerischen Personals im Wechselschichtdienst angewiesen sind, bringen kurzfristige Arbeitsausfälle wegen des Ausfalls der Kinderbetreuung erhebliche Probleme mit sich. Im Notfall muss dann auf teures, oft nicht eingearbeitetes Leasingpersonal zurückgegriffen werden.

Bei kurzfristigen, nicht planbaren Engpässen in der Kinderbetreuung springen daher Betreuungsnotdienste ein.

Um diesen Bedarfen Rechnung zu tragen, wurde mit KidsMobil bereits 2006/2007 das Konzept einer hochflexiblen, arbeitgeberfinanzierten Kinderbetreuung für das Vivantes-Netzwerk für Gesundheit und die Charité Universitätsmedizin Berlin umgesetzt. Seither hat sich das Modell als feste Säule bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie etabliert. Zahlreiche große Kliniken und Universitäten nutzen seit Jahren den Service von KidsMobil, der bundesweit Nachahmer gefunden hat.

 

Unternehmen schließen Betreuungslücken

Mit einem kundengerecht angepassten Buchungssystem wird an jedem Tag des Jahres innerhalb von 24 Stunden eine Betreuung für Kinder zwischen 3 Monaten und 14 Jahren sichergestellt – gerade auch zu ungewöhnlichen Zeiten: sehr früh am Morgen, spät abends und nachts, am Wochenende, und, wenn nötig, auch für 24-Stunden oder über mehrere Tage. Pädagogisch qualifizierte Betreuer*innen kümmern sich um die Kinder meist zu Hause in der elterlichen Wohnung, holen sie bei Bedarf aber auch von Schule oder Kita ab, begleiten sie zum Sportunterricht oder gehen auf den Spielplatz. Besonders für Alleinerziehende oder wenn beide Eltern im Schichtdienst arbeiten, bedeutet das eine erhebliche Entlastung.

Um hunderte von Aufträgen in ihrer Vielfalt und Kleinteiligkeit abzudecken, greift KidsMobil auf einen Pool von über 50 qualifizierten Kinderbetreuer*innen zurück, zumeist Studierende einer pädagogischen Fachrichtung, Tagesmütter und -väter,  oder Menschen, die sich durch den Erwerb theoretischer Kenntnisse und praktischer Erfahrungen (FSJ, Au-pair, Praktika etc.) für die Betreuung von Kindern qualifiziert haben oder aus einem pädagogischen Beruf in den Ruhestand gegangen sind. Der Einsatz von fachfremdem Personal ist ausgeschlossen.

Je nach Auftragslage und eigener Flexibilität betreuen sie verschiedene Familien in unterschiedlichen Bezirken und zu sehr unterschiedlichen Zeiten. Wann immer das machbar ist, wird dafür gesorgt, dass dieselbe Betreuungsperson zu einer Familie kommt.

 

Flexible Einsatzmöglichkeit von Freiberufler*innen ist Bedingung

Diese Flexibilität ist nur möglich, weil die meisten Betreuer*innen mit der Tätigkeit nicht ihren vollständigen Lebensunterhalt bestreiten müssen, sondern sie als Nebentätigkeit neben Studium, Ausbildung oder anderen freiberuflichen oder angestellten Beschäftigungen betreiben. Über 80% dieser Kleinstunternehmer*innen verdienen damit lediglich zwischen 1000,- € und 5000,- € im Jahr. Mit diesen geringfügigen selbständigen Einkommen überschreiten sie also nicht die Grenze zur Rentenversicherungspflicht. Diese liegt nämlich – wie bei Minijobber*innen – bei 5.400.- € pro Jahr.

Es handelt sich also fast ausschließlich um geringfügige Einkommen, mit denen Studierende, Auszubildende und Rentner*innen in Zeiten hoher Mieten und steigender Lebenshaltungskosten zu ihrem Unterhalt beitragen, oder mit denen Menschen aus der Kreativbranche und dem Pflege- und Betreuungssektor ihre oftmals prekären Einkünfte unterfüttern.

Ohne Honorarkräfte wäre diese Art der Vermittlung nicht leistbar“, sagt Christiane Radtke, Leiterin von KidsMobil. „Die Einsatzzeiten sind so unvorhersehbar, dass es unmöglich ist, den Mitarbeiter*innen feste Wochenarbeitszeiten zu garantieren. Davon abgesehen, können wir Studierende und andere Teilzeitkräfte nicht verpflichten, Nacht-, Wochenend- oder 24-Stundendienste in dieser Flexibilität zu übernehmen. Auch stünden Verwaltungsaufwand und Kosten für eine so große Anzahl von Mini- und Midijobbern oder kurzfristig Beschäftigten in keinem Verhältnis zum Umsatz.“

Der Bedarf ist groß und steigt jährlich an. In seinem 13-jährigen Bestehen konnte KidsMobil seine Angebotspalette und die Zahl der Betreuungsstunden kontinuierlich steigern; im Jahr 2019 wurden für Hunderte Familien etwa 17.000 Betreuungsstunden geleistet. Das Verwaltungsteam besteht inzwischen aus 4 (Teilzeit-)Mitarbeiterinnen. KidsMobil ist als Angebot einer gemeinnützigen Gesellschaft kein gewinnorientiertes Unternehmen, sondern erwirtschaftet maximal eine schwarze Null. Unternehmen ab ca. 1000 Mitarbeiter*innen aus dem Berliner Klinik- und Hochschulbereich erwerben jährlich wechselnde Kontingente, der Service ist rein unternehmensfinanziert und bekommt keine öffentlichen Zuschüsse.

 

Aus für die flexible Notbetreuung?

Obwohl der Notbetreuungsservice offenbar allen Bedürfnissen entgegenkommt, wird er womöglich nicht mehr aufrecht zu erhalten sein, sollte sich die DRV mit ihrem Standpunkt durchsetzen. „Die Deutsche Rentenversicherung weigert sich, die spezifischen Arbeitsbedingungen in der Notbetreuung und die völlig unterschiedlichen Lebenssituationen der verschiedenen Betreuer*innen zu berücksichtigen“, so Udo Glaß, Geschäftsführer des Unternehmensverbundes Die Bildungspartner.

Von dem Stimmungswandel bei der Rentenversicherung sind noch weitere Kinderbetreuungsdienste betroffen.
Das Land Berlin finanziert seit 2016 über MoKiS, den „mobilen Kinderbetreuungsservice für Eltern mit besonderen Arbeitszeiten“ ein vergleichbares Angebot ergänzender Tagesbetreuung. Hier arbeiten ausschließlich Freiberufler*innen in Nebentätigkeit – allerdings weniger qualifiziert und schlechter bezahlt als bei KidsMobil.

Als selbständige Tätigkeit gilt aber seit Jahren auch die Betreuungsleistung der Tagesmütter und -väter: Auch diese arbeiten häufig nur für einen Auftraggeber, nämlich für ein Jugendamt. Auch hier ist es gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben, dass die Betreuung im Haushalt der Tagespflegeperson stattfindet, sie kann durchaus auch im elterlichen Haushalt oder z.B. in Eltern-Kind-Zimmern an den Campi von Universitäten oder Kliniken erbracht werden.

Die Argumente der Rentenkasse sind für uns nicht nachvollziehbar, sagt Christiane Radtke. Unsere Notbetreuer*innen sind eindeutig Selbständige, sie können jederzeit ohne negative Konsequenzen Aufträge ablehnen, sind nicht an bestimmte Arbeitstage oder -zeiten gebunden, müssen keine verbindlichen Verfügbarkeiten vorhalten oder sich bei uns an- oder abmelden, wenn sie z.B. in Praktika, Auslandssemester, Urlaube etc. gehen. Daneben können sie uneingeschränkt für beliebige weitere Auftraggeber arbeiten. Sie erhalten keine Dienstanweisungen und sind in der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit in Absprache mit den Eltern vollkommen frei. Auch andere Kriterien für eine sozialversicherungspflichtige Anstellung wie Eingliederung in unsere Arbeitsorganisation, obligatorische Arbeitskleidung, Teamsitzungen oder Supervision sind nicht gegeben.“

 

Sozialgericht entscheidet

Nach Jahren zermürbender Auseinandersetzung will das Unternehmen nun für die Branche das Recht auf den Einsatz von selbständigen Kinderbetreuer*innen vor dem Sozialgericht erstreiten und so den Notbetreuungsservice für seine Kunden retten. Ein Urteil wird eventuell noch in diesem Jahr erwartet.

Für die Kliniken, die seit Jahren mit der arbeitgeberunterstützten Kinderbetreuung werben, würde der Wegfall der Kindernotbetreuung einen Verlust in der Arbeitgeberattraktivität bedeuten, der angesichts des Fachkräftebedarfs erheblich wäre.

Dazu Ina Colle, Personalentwicklerin und Projektmanagerin bei Vivantes – Netzwerk für Gesundheit: „KidsMobil ist seit vielen Jahren unser verlässlicher Partner in der Kindernotbetreuung. Das auf unseren Bedarf maßgeschneiderte Angebot ist bei unseren Beschäftigten sehr beliebt, da es eine große Entlastung darstellt. Insbesondere für alleinerziehende Mitarbeiter*innen ist es eine große Erleichterung, auf KidsMobil zurückgreifen zu können. Es ermöglicht ihnen, mit gutem Gewissen auf der Arbeit präsent sein zu können, da ihre Kinder zu Hause qualifizieret betreut werden. Für uns als Unternehmen ist dies extrem wichtig, da Personalausfälle nicht immer adäquat kompensiert werden können. In all den Jahren ist die Nachfrage nach KidsMobil gestiegen. Die Zufriedenheit mit dem Angebot ist extrem groß. Für uns wäre der Wegfall der Notbetreuung ein ganz herber Verlust bei unseren Bemühungen um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und bei unserer Personalfindung und -bindung.“

 

Leidtragende wären wieder einmal nicht nur berufstätige Eltern und deren Kinder, sondern auch die Patient*innen in Krankenhäusern, die ohnehin mit schlechter Personalausstattung zu kämpfen haben. Und natürlich diejenigen, die in Pflegeberufen und mit Kinderbetreuung verantwortungsvolle und nach wie vor unterbezahlte Arbeit für unsere Gesellschaft leisten.

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