15 Jahre KidsMobil – ein Interview mit Christiane Radtke

15 Jahre KidsMobil – ein Grund zum Feiern

Anlässlich des 15-jährigen Jubiläums von KidsMobil haben wir ein Interview mit der Leiterin Christiane Radtke geführt und aktuelle Einblicke in die Arbeit des Teams erhalten.

 

 


Ilkay Türkmen und Christiane Radtke

 

 

15 Jahre KidsMobil – herzlichen Glückwunsch! Sicher kannst Du auf viele Erfolge zurückblicken – was fällt Dir ein, das Dir besonders wichtig war in den letzten 5 Jahren zum Beispiel?

Christiane Radtke:
Wir sind sehr stolz darauf, dass unsere Unternehmens-Kunden uns über all die Jahre treu geblieben sind und unsere Arbeit zu schätzen wissen.

Das ist auch ein Kompliment an die Qualität unserer Arbeit, auch speziell im Notbetreuungs-Segment, weil wir das damals zusammen mit Vivantes aufgebaut haben. In diesem Umfang und dieser Ausformung ist die Dienstleistung kaum woanders zu finden.

Es wird inzwischen auch erwartet, dass die Kliniken im Rahmen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Notbetreuung anbieten. Wir haben hier langjährige, gute Partnerschaften vorzuweisen.

 

 

Seit zu Beginn bedeutende Berliner Kliniken Eure Kunden waren, sind einige Universitäten und Hochschulen hinzugekommen. Wie hat sich das Kundenspektrum zuletzt entwickelt?

Christiane Radtke:
Der Kundenstamm ist langsam und kontinuierlich gewachsen. Über die Charité war ja auch gleich zu Beginn der Universitätsbereich mit angebunden, weil sie nicht nur den Klinik-, sondern auch einen Lehr- und Forschungsbereich umfasst.

Danach ist relativ schnell die Freie Universität, die FU, dazu gestoßen, weil sie in Forschungsaufgaben in enger Verbindung zur Charité steht. Die Humboldt-Universität, später die Beuth-Hochschule für Technik Berlin und die Universität der Künste kamen ebenfalls als Kunden hinzu. Der künstlerische Bereich ist viel kleiner, aber aufgrund deren Arbeitszeiten passt unser Angebot, das ursprünglich auf den medizinischen Bereich zugeschnitten war.

Anfragen nach regelhafter oder Randzeitenbetreuung, die von Menschen aus der Forschung an der Charité, den Universitäten und mit ihnen verbundenen Forschungseinrichtungen wie z.B. dem Max-Delbrück-Zentrum oder der Helmholtz-Gemeinschaft, an uns herangetragen werden, machen inzwischen 30 und 40% unserer Stundenumsätze aus.

Das ist eine internationale, globalisierte Wissenschaftsszene, die vom Arbeitgeber oder den Forschungsverbünden bezahlte Kinderbetreuung zunehmend als Selbstverständlichkeit betrachtet.

 

 

Wenn von den Alleinerziehenden die Rede ist: hat sich hier die früher wohl vorwiegend weibliche Klientel verändert und sind jetzt auch mehr Männer unter den Kund*innen? Vielleicht bildet sich die gesellschaftliche Entwicklung zu einer zunehmenden Gleichberechtigung auch hier ab?

Christiane Radtke:
Ja, es sind insgesamt sehr viel mehr Männer unter den Kund*innen. Ursprünglich wurde unser Angebot hauptsächlich vom Pflegbereich und hier insbesondere von alleinerziehenden Frauen wahrgenommen.

Zunehmend kamen nun mehr Ärztinnen und Ärzte und Mitarbeiter*innen aus Forschung und Wissenschaft hinzu und man kann wirklich ganz klar sagen, dass sich das Verhältnis sehr verändert hat und sich nun auch viel mehr Männer um die Betreuung der Kinder kümmern – also bei uns anrufen und unsere Leistungen in Anspruch nehmen. Das ist auf jeden Fall eine sehr erfreuliche Entwicklung.

 

 

Im Jahr 2015 hattet Ihr bereits 14.000 Betreuungsstunden an Eure Kunden verteilt. Wie hat sich die Zahl in den letzten Jahren entwickelt?

Christiane Radtke:
Durch Corona hat sich das jetzt etwas verzerrt, da in dieser Zeit der Bedarf außergewöhnlich gestiegen war. Aber davor waren es zwischen 18.000 und 19.000 Betreuungsstunden ungefähr, es ist also weiterhin ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Dabei sind es gar nicht mehr nur Notbetreuungsstunden, sondern wie gesagt ca. 30 bis 40 % Regelbetreuungs-Szenarien.

 

Diese werden viel über die DFG, also die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert, die zunehmend die Kosten für Kinderbetreuung in ihre Forschungsbudgets integriert hat.
Darüber können wir inzwischen auch internationale Forscher*- und Wissenschaftler*innen der HU oder FU aus Sozial-, Sprach- und Literaturwissenschaften oder Historiker*innen z.B. mit unserem Betreuungsangebot unterstützen.

 

 

Euer Koordinationsteam hat Zuwachs bekommen.
Was gibt es hier Neues in der Team-Struktur?

Christiane Radtke:
Ich habe ja lange allein gearbeitet und dann 2014 die erste Verwaltungs-Unterstützung bekommen. Weil der Bedarf immer weiter wuchs, wurde 2016 eine zweite, unbefristete Stelle geschaffen und im Frühjahr 2019 eine dritte Mitarbeiterin eingestellt. Wir sind nun also seit zweieinhalb Jahren zu Dritt, da der Zuwachs an Betreuer*innen ja auch den Umfang der Verwaltungsarbeiten immer weiter ansteigen ließ.

Zu Dritt können wir uns gegenseitig vertreten und unsere Bereitschaft am Abend und an den Wochenenden realisieren. Wir müssen im Prinzip im Notfall immer erreichbar sein, denn es geht ja um Kinder, die Tag und Nacht, an Wochenenden und Feiertagen – an allen Tagen im Jahr – von uns betreut werden. Auch Ersatz für erkrankte Betreuer*innen muss ggf. organisiert werden.

Mit Antje Oehler als stellvertretender Leiterin und Ilkay Türkmen in der Assistenz sind wir personell im Koordinationsteam sehr gut aufgestellt. Zusätzlich haben wir als tatkräftige Unterstützung in der Verwaltung einen Tag die Woche Kerstin Aßmann von SOCIUS im Team.

Zusammen haben wir die umfangreichen Aufgaben der letzten Monate sehr gut bewältigen können. Ein großer Dank geht an dieser Stelle an meine Kolleginnen und ganz besonders an Antje, die im Winter 2018/19 in einer unglaublich schwierigen Situation zunächst als studentische Hilfskraft zu KidsMobil stieß und zum Glück schließlich blieb – ohne sie geht bei uns gar nichts mehr!

Und wenn ich schon beim Loben bin:
Viele unserer Betreuer*innen sind uns seit Jahren treu und machen eine unbeschreiblich tolle, verantwortungs- und liebevolle Betreuungsarbeit zu unglaublichen Zeiten und unter oft schwierigen Bedingungen.Ihnen gebührt sowieso das höchste Lob – sie verkörpern ja den wichtigsten Teil von KidsMobil!

 

 

Ja, wie steht es mit Betreuer*innen? Es gab enorm viele Bewerbungen hoch qualifizierter Kandidat*innen. Doch auch der Bedarf an Eurer flexiblen Betreuung ist riesig. Deckt der Bewerberansturm die sehr hohe Nachfrage ab?

Christiane Radtke:
Ja, das haben wir seit Jahren gut im Griff, dass wir Nachfrage und die Anzahl unserer Betreuer*innen gut aufeinander abstimmen können.

Dass dann im Frühjahr 2020 die Telefone heiß liefen, lag natürlich an der neuen Situation zu Beginn der Corona-Pandemie. Da traten sehr viele Interessent*innen an uns heran, deren ursprüngliche Jobs weggefallen waren und die einerseits ein neues Betätigungsfeld suchten, aber auch helfen wollten die in dieser Zeit enorm gestiegene Nachfrage zu bewältigen. Wir haben in der Zeit im März und April 2020 ja in kürzester Zeit die Kinderbetreuungszimmer vor Ort bei den Kunden aufgebaut mit ausgefeilten Sicherheits- und Hygienekonzepten.

Hier haben wir auch ganz intensive Hilfe von den Bildungspartnern erfahren. Da haben uns Erzieher*innen unserer eigenen Einrichtungen geholfen, die ja wiederum auch unter Lockdown – Bedingungen gearbeitet haben.

Aber es kamen auch sehr viele Interessent*innen aus anderen, damals geschlossenen Bereichen zu uns, aus der Kinder-Event-Branche, aus Agenturen – da wurden natürlich unheimlich viele tolle Kinder-Betreuer*innen frei, die neue Betätigungsfelder suchten, auch sehr viele Künstler*innen, die Kurse in Kindereinrichtungen gegeben hatten – ausgebildete Tänzer*innen, Schauspieler*innen mit viel Erfahrung in der Kinderbetreuung, also hoch qualifiziertes Personal.

 

 

Vor eineinhalb Jahren hat die Infragestellung der Selbständigkeit Eures Betreuungspersonals durch die DRV für Aufruhr gesorgt. Die nötige Flexibilität für die maßgeschneiderten Lösungen für die Kunden in der Notfallbetreuung kann Eurer Ansicht nach nur mit freien Mitarbeiter*innen erhalten werden. Wie hat sich hier die Lage entwickelt?

Christiane Radtke:
Leider konnte diese Situation nicht aufgelöst werden. Die flexiblen, freiberuflichen Kräfte, die einen Großteil unserer Betreuer*innen ausmachen, sind Studierende und Schüler*innen der pädagogischen Ausbildungen und Studiengänge mit vielseitigen Erfahrungen in der Kinderbetreuung die diese Tätigkeiten als Nebenerwerb freiberuflich ausgeführt haben.

Diese Beschäftigten, die eher wenig, bzw. unregelmäßig gearbeitet haben, so wie es eben Ausbildung, Studium oder eine kreative Hauptbeschäftigung zulassen, können die unvermeidlichen Schwankungen in der Auftragslage in der Notbetreuung abfangen können, was sehr wichtig ist. Da braucht man sehr viele, sehr flexible Menschen, um den völlig unabsehbaren Bedarfen in Notfällen gerecht werden zu können.

Nun müssen wir versuchen, mit einem groß angelegten Umbau der Beschäftigungsstruktur die Vielzahl der Aufträge trotz dieser Veränderungen weiter gut abzudecken. Das ist ein Prozess, in dem wir uns gerade befinden, an dem natürlich auch unsere Kunden beteiligt sind, die wir schon vor Jahren mit ins Boot geholt haben.

Die weitgehende Umstellung auf sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter*innen bedeutet aber eben deutlich höhere Kosten, auch durch eine exorbitante Zunahme an Verwaltungsaufwand, sodass nach wie vor unklar ist, ob sich das Angebot der Notbetreuung weiterhin aufrechterhalten lässt.

Zum Beitrag zu diesem Thema vom 11.12.2019

 

 

Die durch Corona bedingte Situation in diesem und letzten Jahr hat Euch vor neue Herausforderungen gestellt. Du hattest es schon kurz beschrieben. Wie hat sich die Situation im vergangenen Jahr entwickelt? Was ist Dein Fazit nach 16 Monaten Arbeit während einer Pandemie?

Christiane Radtke:
Im Frühjahr 2020 schossen die Bedarfe durch die Decke, hier haben wir gleich zu Beginn sehr viel Hilfe von den Bildungspartnern erfahren. Aufrufe wurden gestartet und es kamen von allen Seiten, von SOCIUS und OPTIMUS umgehend Mitarbeiter*innen und Helfer*innen, um in kürzester Zeit die Kinderbetreuungszimmer in den Kliniken mit aufzubauen.

Diese Solidarität war eine ganz tolle Erfahrung und so konnten wir unseren Kunden auch recht schnell eine Lösung anbieten für die verschärfte Situation, die dort ja auch alle Klinikmitarbeiter*innen, auch unsere Ansprechpartner*innen unglaublich gefordert hat.

Bis Frühsommer 2020 wurden diese Zimmer für die Notbetreuung genutzt, an der Charité noch bis zum Ende der Sommerferien für eine Ferien-Notbetreuung, die wir auch dieses Jahr wieder durchgeführt haben. Dann entspannte sich die Lage.

Aber im Herbst 2020 trat dann plötzlich mit dem neuen Lockdown eine ganz gegenteilige Situation ein: Wir hatten sehr viele Menschen, die für uns arbeiten wollten, aber die Auftragssituation brach fast völlig ein, weil Eltern, Kinder und Einrichtungen Quarantäne-Situationen hatten. Unter diesen Bedingungen konnten und durften wir aus Sicherheitsgründen wenig oder nur unter sehr strengen Auflagen arbeiten. Alles wurde mit dem Pandemie-Stab der Charité abgestimmt, es gab sehr komplexe Hygienekonzepte und Test-Strategien, doch bis Weihnachten wurden aufgrund der Quarantäne-Situationen viele Aufträge storniert.

Normalerweisen betreuen wir ja in der Herbst- und Wintersaison auch angeschlagene und genesende Kinder, aber in der Corona-Situation ging das natürlich nicht. So sind nach einer anfänglich enormen Nachfrage kurzzeitig die Aufträge eingebrochen.

Dann im Januar kam erneut eine sehr große Nachfrage-Welle durch eine sehr intensive Home-Schooling-Betreuung, die sehr umfangreich an Stunden war und bis zu den Öffnungen jetzt zum Sommerbeginn anhielt.

 

 

Zeitweise haben wir Frühdienste in den Charité-nahen Einrichtungen übernommen, weil dort Kita-Öffnungszeiten aufgrund Personalmangels eingeschränkt wurden, um den Mitarbeiter*innen, die rund um die Uhr auf den COVID-Stationen arbeiten mussten, ihre Frühschichten zu ermöglichen.
Es war also eine Achterbahnfahrt, auf die wir uns immer wieder neu einstellen mussten und ganz andere Bedarfe als in anderen Jahren.

Das ist nochmal eine Bestätigung gewesen, wie wichtig unser spezielles Profil ist und wie qualifiziert, verantwortungsvoll und zuverlässig unsere Betreuer*innen arbeiten, dass wir so schnell und flexibel handlungsfähig waren in dieser außergewöhnlichen Situation in der Corona-Pandemie. Inzwischen sind alle Mitarbeiter*innen über die Charité geimpft. Einen großen Dank auch an dieser Stelle nochmal an die Charité und alle unsere Ansprechpartner*innen an den Berliner Kliniken – das war eine hervorragende Zusammenarbeit!

 

 

Beim Unternehmenstag im September 2020 hat Bundesfamilienministerin Giffey neue Chancen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgeführt.
Der Unternehmenstag stand unter dem Motto „Erfolgsfaktor Familie“*.
Das Angebot von KidsMobil für Arbeitgeber wurde in der Broschüre ausführlich erwähnt. Wie haben sich aus Eurer Sicht die politischen Voraussetzungen, um dieses Ziel zu erreichen, entwickelt?

 


Die Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausgabe 9/2018, widmete KidsMobil einen Beitrag

Vollständige Broschüre als PDF

 

Christiane Radtke:
Der Umgang mit Betreuungs-Angeboten wie unserem und die Wahrnehmung überhaupt, wie wichtig Kinderbetreuung ist, damit Menschen arbeiten können, hat sich sehr verbessert. Das haben wir in den letzten Monaten auch noch einmal ganz klar vor Augen geführt bekommen.
Unser Angebot wird auch viel gelobt, das ist natürlich schön.

Aber mehr als Lob und Klatschen braucht es dringend tatsächliche Unterstützung für die Umsetzung in der Praxis, auch Differenzierung vonseiten der Behörden, damit wir unser Angebot weiter gut umsetzen können. Es wäre nur fair, wenn hier staatliche öffentliche Angebote und privatwirtschaftliche Angebote wie unseres gleichermaßen unterstützt würden. Ich sehe an dieser Stelle eindeutig politischen Handlungsbedarf.

 

 

Wenn Du drei Wünsche freihättest, was würdest Du Dir für die nächsten 5 Jahre wünschen für Deine Arbeit?

Christiane Radtke:
Eigentlich habe ich nur einen Wunsch, einen wirklich großen, die ganze Zeit: Dass endlich auf allen öffentlichen Ebenen anerkannt wird, dass Kinderbetreuung kein besseres Hobby, sondern eine wirklich qualifizierte, hochverantwortungsvolle Tätigkeit ist – für die Gesellschaft, für die Familien, die Kinder.

Ich wünsche mir, dass das auch politisch wirklich anerkannt und praktisch unterstützt wird, über schöne Worte hinaus. Und dass auch anerkannt wird, dass das Geld kostet und diese qualitativ hochwertige Leistung auch finanziell gewürdigt wird. Ich wünsche mir, dass auch das ins gesellschaftliche Bewusstsein vordringt.

 

 

Danke für die spannenden Einblicke.
Wir freuen uns auf die kommenden Jahre von KidsMobil und wünschen dafür alles Gute!

 

 

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